William Leisner
TNG-Relaunch Nr 6, erschienen bei Cross Cult
(319 S., Original: Losing the Peace)
Nach vielen, verlustreichen Jahren ist es der Föderation endlich gelungen, die Borg zu besiegen. Der Weg zurück in die Normalität ist allerdings noch sehr lang. Viele Planeten werden von Flüchtlingswellen überrollt; die Zustände sind teilweise katastrophal. Anders als sein ehemaliger Erster Offizier William Riker kommt Captain Picard nicht in den Genuss, auf Forschungsmission zu gehen. Die Enterprise soll eine Art intergalaktische Feuerwehr spielen, immer da, wo sie gebraucht wird. Während Dr. Crusher auf einer seperaten Mission zur Wasserwelt Pacifica geschickt wird, die zu einem Flüchtlingsasyl geworden ist, sieht sich die neue Enterprise-Sicherheitschefin Jasminder Choudhury mit der Möglichkeit konfrontiert, dass es doch noch Überlebende ihrer Heimat Deneva geben könnte...
Ähnlich wie der Roman "Einzelschicksale" hat dieses Buch die schwierige Situation nach den Ereignissen der "Destiny"-Trilogie zum Thema, diesmal jedoch aus der Sicht der Enterprise-Crew. Während der erstgenannte Roman einen eher distanzierten Blick aus Politikersicht auf die Nachwirkungen der Apokalypse warf, geht es in dieser Geschichte mehr um ganz persönliche Erlebnisse einzelner Crewmitglieder der Enterprise (der Titel "Einzelschicksale" hätte auch ganz prima gepasst!)
Der Autor William Leisner war mir bislang völlig unbekannt, und ich muss sagen, dass er seine Sache wirklich sehr gut gemacht hat. Er hat ein feines Gespür für die Charaktere und beleuchtet sie auf sehr behutsame Weise. Wunderbar ist schon allein die Idee, die Crew auf Landurlaub zur Erde zu schicken, genau wie es in der Folge "Familienbegegnung" nach der ersten schweren Schlacht gegen die Borg geschah. Ehe die nächste Mission beginnt, haben die Crewmitglieder ein wenig Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Jede Person geht dabei anders mit den Auswirkungen des Borgangriffs um, natürlich auch weil das Schicksal manche härter getroffen hat als andere. Während Picard seinen inneren Frieden wiedergefunden zu haben scheint, seit die Stimme der Borg in seinem Kopf verklungen ist, fühlt sich La Forge fast schuldig angesichts der Tatsache, im Gegensatz zu unzähligen anderen Personen überlebt zu haben. Beverly hingegen stürzt sich mit Elan auf ihre neue Aufgabe als Einsatzleiterin auf Pacifica, während Miranda Kodohata sich einmal mehr zwischen Familie und Karriere entscheiden muss.
Wie das Cover schon erahnen lässt, wird Choudhury hier besonders viel Platz eingeräumt. Die normalerweise so gelassene Sicherheitschefin musste durch die Zerstörung ihrer Heimatwelt einen besonders schweren Schicksalsschlag hinnehmen und handelt seitdem völlig paradox: Sie stürzt sich kopflos in eine leidenschaftliche Affäre mit Worf, und die Nachricht, ihre Familie vielleicht doch lebend wiederzusehen, löst bei ihr eher Panik statt Hoffnung aus. Der Autor versteht es hervorragend, Jasminders Gedanken und Gefühle nachvollziehbar zu machen und diese bislang noch relativ unbekannte Figur dem Leser näherzubringen.
Als heimlicher Star des Romans erweist sich aber wieder einmal T'Ryssa Chen, einer der sympathischsten Charaktere im ganzen Star Trek-Roman-Universum. Sieht es erst so aus, als wäre sie durch den Borgangriff nicht persönlich betroffen, muss sie doch noch mit einer bitteren Erfahrung fertigwerden. Die Trys-Szenen sind die eindrucksvollsten und berührendsten Passagen dieses Romans. Eine starke Leistung des Autors, der genau das richtige Maß gefunden hat, den Roman sehr gefühlsbetont, aber niemals kitschig werden zu lassen.
Neben den Charakteren dreht sich die Geschichte ausführlich über die Lage auf Pacifica, auf dessen ohnehin nicht gerade reichlich vorhandenen Landflächen sich jetzt Tausende Flüchtlinge drängen. Überbelegung, mangelnde hygienische Verhältnisse und das Wegsperren vor den Einheimischen, die der Lage nicht mehr Herr werden, lassen die Stimmung hochkochen. Ja, der Titel des Romans ist schon sehr gut gewählt: Es kann tatsächlich leichter sein, einen Krieg zu gewinnen, als den Frieden zu bewahren. Zusätzlich gewinnt der Roman auch deshalb an Tiefe, weil uns die Flüchtlingssituation gerade aus unserer heutigen Zeit unheimlich bekannt vorkommen dürfte.
Leider können weder die Charakterstudien noch das Flüchtlingsdilemma den Roman zu 100 % tragen. Gegen Ende lässt die Geschichte ein wenig nach, und der fehlende Spannungsbogen, den ich die meiste Zeit kaum vermisst habe, macht sich plötzlich doch noch bemerkbar. Vielleicht hätten ein paar Seiten weniger dem Roman ganz gut getan. Als störend erweist sich ausgerechnet der Handlungsstrang um Picard, der sich wieder mal untypisch verhält, Befehle missachtet und am Ende dafür sogar noch befördert werden soll. Ich hoffe, eines schönen Tages kommt ein Relaunch-Roman daher, in dem man endlich mal wieder den besonnenen, diplomatischen Serien-Picard erleben kann. Bisher jedenfalls ist er noch nicht aufgetaucht.
Fazit: Starke Charaktermomente und realistisch geschilderte Nachkriegs-Szenarien zeichnen dieses Buch aus. Die gegen Ende etwas dahindümpelnde Handlung lässt allerdings umso stärker hoffen, dass die Geschichte in den Typhoon-Pact-Romanen wieder deutlich an Fahrt aufnehmen wird.
4/5
Charaktere getroffen? ****
Spannung: **
Humor: *
Action: *
Gefühl: *****
originelle Handlung? ***
Anspruch: ****
Vorwissen nötig?
Ich halte es für unerlässlich, vorher die "Destiny"-Trilogie zu lesen, für die man wiederum diverse Romane gelesen haben sollte. Von Vorteil ist weiterhin die Lektüre des Romans "Einzelschicksale". Quereinsteigern könnte das mangelnde Vorwissen den Lesespaß gewaltig trüben.
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