Keith R. A. DeCandido
erschienen bei Cross Cult
(402 S., Original: A Singular Destiny)
Eines gleich vorweg: Wer "Einzelschicksale" lesen möchte, sollte unbedingt die "Destiny"-Romane kennen, denn die Handlung dieser Trilogie wird hier nahtlos weitergeführt. Wer "Destiny" noch vor sich hat, liest jetzt besser nicht weiter, um nicht in die Spoilerfalle zu tappen!
Zum Inhalt: Die Borg sind geschlagen, aber sie haben eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Durch die Borginvasion wurden die Karten neu verteilt: Ehemals mächtige Welten wurden an den Rand ihrer Existenz gedrängt, andere hingegen wittern ihre Chance, endlich zu den Großen im Universum zu gehören. Letzteres trifft auf die Kinshaya zu, die den klingonischen Flüchtlingsplaneten Krios angreifen. Auch an anderen Orten kommt es zu Unruhen: Auf Zalda wird aus einem nicht ersichtlichen Grund ein Schiff voller Flüchtlinge abgewimmelt, während auf Capella IV der Abbau des dringend benötigten Topalin sabotiert wird. Eben jene Ressourcenknappheit stellt auch die Föderation vor ein Problem, da sie nicht länger das von Tal'Aura geführte Romulanische Sternenimperium unterstützen kann. Hilfe könnte von der anderen Hälfte des nunmehr zweigeteilten romulanischen Reiches kommen, dem Imperialen Romulanischen Staat, an dessen Spitze Tal'Auras Todfeindin Donatra steht. Der Geschichtsprofessor Sonek Pran erhält sein altes Amt als politscher Berater wieder, als er im Auftrag der Föderation zwischen beiden Parteien vermitteln soll. Dabei drängt sich ihm der Verdacht auf, dass zwischen den jüngsten Zwischenfällen ein Zusammenhang besteht...
"Einzelschicksale" ähnelt in Aufbau und Stil stark dem Roman "Die Gesetze der Föderation", der ebenfalls von Keith R. A. DeCandido geschrieben wurde. Dieser stark politisch angehauchte Roman war ganz sicher nichts für den Massengeschmack: Für die einen stellte er einen hochinteressanten Blick hinter die Kulissen des Föderationsrates dar, andere empfanden ihn als eine zähe Angelegenheit, die ungefähr genauso viel Spannung verbreitete wie das "heute-journal" im ZDF. Dass sich "Einzelschicksale" wie eine Fortsetzung zu "GdF" liest, mag also nicht jedem Leser gefallen. Ich finde jedoch, dass dieser Stil mit seiner leicht distanzierten Sichtweise ideal ist, um die Auswirkungen der Borg-Krise in ihrer Gesamtheit zu verdeutlichen. Aus der Perspektive einer Raumschiffcrew wäre das Ergebnis nicht halb so wirkungsvoll geworden. Wie schon in "GdF" werden die Ereignisse an vielen Schauplätzen vorangetrieben. Die Haupthandlung wird von eingestreuten Zeitungsberichten, Mitschnitten politischer Talkshows, Briefen oder auch einer Liste mit Todesopfern ergänzt (letztere dürfte bei so manchem Fan für einen ziemlichen Schock sorgen!)
Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist Sonek Pran, der Historiker auf diplomatischer Mission, der allein schon durch seine vulkanisch-bajoranisch-batazoidisch-menschliche (!) Abstammung ein recht ungewöhnlicher Charakter ist. Weit weniger ungewöhnlich ist aber ein Handlungselement, dass man schon unzählige Male gelesen oder gesehen hat: Wieder mal ist es eine Person, in diesem Falle Pran, die als einzige einer Verschwörung auf die Schliche kommt, deren Vermutungen ansonsten niemand Glauben schenken will, sich aber am Ende natürlich als goldrichtig erweisen! Pran ist zwar eine nicht unsympathische Figur, allerdings als Charakter auch recht austauschbar. Schön hingegen ist das Wiedersehen mit einigen Figuren aus "Die Gesetze der Föderation" wie Nan Bacco oder Esperanza Piñiero, die mir in der Zwischenzeit schon ziemlich ans Herz gewachsen sind.
Wie es inzwischen bei den neueren Star Trek-Romanen gang und gäbe ist, baut der Autor auch hier jede Menge Details aus anderen Romanen ein. Das kann ganz nett sein oder auch abschrecken, je nachdem, ob man die anderen Romane gelesen hat oder nicht. Ich für meinen Teil habe mich jedenfalls über den Chefingenieur Lolo von der U.S.S. Musgrave gefreut, eine Hommage an den hinreißend liebenswerten Belandriden Obo ("Llllleicht zu rrrrrreparieren!") aus "Das Pandora-Prinzip", einem meiner liebsten ST-Romane überhaupt. Übrigens kann man ausnahmsweise mal nachlesen, aus welchen Romanen und Episoden sich DeCandido bediente, in den Danksagungen sind diese nämlich aufgelistet.
Fazit: Dieser Roman hat nach der epischen "Destiny"-Trilogie die undankbare Aufgabe, erstmal ein wenig Ruhe einkehren zu lassen - vielleicht sogar ein bisschen zuviel Ruhe. Ich war jedenfalls überrascht, die Situation nach der Borginvasion doch einigermaßen entspannt vorzufinden, jedenfalls nicht halb so apokalyptisch, wie ich erwartet hatte. Nach der dramatischen Borg-Schlacht kommt "Einzelschicksale" natürlich weit unspektakulärer daher. Wenn man es mal mit Kinofilmen vergleichen will, ist "Destiny" der Mega-Blockbuster, "Einzelschicksale" eher Independent Movie. Da hier aber der Grundstein für die "Typhon-Pakt"-Romane gelegt wird, ist es eine recht wichtige Star Trek-Geschichte, an die andere Romane aufbauen werden und die man sich allein schon deshalb nicht entgehen lassen sollte. "Einzelschicksale" ist zwar kein Buch, bei dem man mitfiebern kann, für mich persönlich war es jedenfalls sehr erfreulich, dass "Die Gesetze der Föderation" mit seinem ungewöhnlichen Stil kein einmaliger Ausreißer war.
P.S. Zum Schluss gibt's noch ein kleines Rätsel. Auf Seite 332 ist folgendes zu lesen:
Sonek hatte keinerlei romantische Gedanken gegenüber Rupi gehegt - was zumindest teilweise daran gelegen hatte, dass er sie und Farin in seinen Augen ein ziemlich glückliches Paar gewesen waren - sondern sie einfach nur als Freundin angesehen.
Hmmmm. Was das wohl bedeuten mag?
P.P.S. Und noch ein Rätsel: Die Namen der Kinshaya-Crewmitglieder wirken nicht halb so exotisch, wenn man sie rückwärts liest. Keine Ahnung, ob sie irgendeine Bedeutung haben...
4/5
Charaktere getroffen? **
Spannung: **
Humor: *
Action: **
Gefühl: **
originelle Handlung? ****
Anspruch: *****
Vorwissen nötig?
Neulinge sind wieder mal chancenlos.
Sonntag, 14. November 2010
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Moin Ameise,
AntwortenLöschenbin gerade pferdig geworden und hab es mir natürlich nicht nehmen lassen, mir gleich danach deine Rezension durchzulesen. Sorum ist es viel angenehmer!
Und es hat sich definitv gelohnt: In vielen Punkten stimme ich Dir völlig zu, wir haben sogar den selben Stolpersatz gefunden und im Großen und Ganzen kann ich deine Bewertung (wieder einmal) problemlos unterschreiben. Hier und da hab ich da was anders als Du gesehen, abba das liegt in der Natur der Sache.
Ich weiß allerdings nicht, ob die Kinshaya-Namen wirklich einen Hintergrund haben. Auf meinem mich stets begleitenden Beipackzettel habe ich die Frage gekritzelt gefunden, ob mit 'Retej' (S. 163) eventuell 'K.W. Jeter' gemeint ist, aus dessen Feder der DS9-Roman "Die Station der Cardassianer" stammt und auch bei 'Seguh' (S. 315) bin ich mir relativ sicher, dass sich dahinter der englische Vor- und Nachname 'Hughes'verbirgt. Doch da ich bei all den anderen Namen auf keinen grünen Zweig kam (Melky?Abreu??Roda???), hab ich die Idee schnell verworfen, überhaupt darauf einzugehen.
Nun gut, ich geh jetzt endlich vom Typhon-Pakt träumen...
Großes Lob für Deine schnelle und tolle Rezi
Turon47
Hallo Ameise,
AntwortenLöschenbin vorhin durch deine Rezension dieses Buches bei Amazon auf dein Blog aufmerksam geworden.
Habe mich mal etwas umgesehen, einige Rezensionen könnte ich sofort unterschreiben, andere eher nicht.
Die Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Jedenfalls tolle Arbeit, die du hier machst.
Werde bestimmt öfter zum rumstöbern vorbeischauen.
Gruß, Frank
Hallo Frank,
AntwortenLöschenvielen Dank für das Lob! Gerade weil die Geschmäcker verschieden sind, bin ich der Meinung, dass es gar nicht genug Rezensionen geben kann. Ich selbst finde es auch immer wieder spannend, wie sehr manche Bücher polarisieren, während andere einstimmig in den Himmel gelobt oder total abgelehnt werden.
Beste Grüße,
Ameise